Montag, 9. April 2018

Urlaub im Land der ehemaligen Kopfjäger Teil 1

Traditionshäuser, Tanzgruppen, Aberglaube und Kopfjäger 

In der zweiten und dritten Woche unseres Sumatraurlaubes sind wir auf der Insel NIAS. Seit den 1930-er Jahren ist die Bevölkerung weitestgehend evangelisch, wobei sie in sympathischer Weise ihren neuen Glauben mit ihren Traditionen verknüpft haben. Vorher lebten hier, besonders im Süden der Insel, Kopfjäger. Zu den Traditionen aber später mehr.

Tumori, ein traditionelles Dorf auf Nias

Am Hafen in Gunung Sitoli an der Ostküste von Nias kommen wir gegen 7:30 Uhr an. 
Wir warten, bis unser Auto die Fähre verlässt und beobachten inzwischen das bunte Treiben im Hafen.
Ordentlich nebeneinander aufgestellt wartet eine ganze Reihe von Mopedfahrern darauf, als Gepäcktransporter Arbeit zu finden. Nachdem die größten LKW die Fähre verlassen haben, fahren sie auf die Fähre und kommen beladen wieder heraus.
Wir sehen einige Kisten mit lebenden Küken, in einer davon wimmelt es von rotem Flausch, es sind purpurrote Küken. Dann sehen wir unser Auto von der Fähre fahren und gehen ebenfalls hinunter.


Hafen in Gunung Sitoli

Die Insel NIAS liegt westlich von Sumatra / Indonesien und gehört zu den großen Sunda - Inseln.
Sie liegt auf der Sundaplatte zwischen dem asiatischen Festland und Australien, quasi an der Grenze der beiden Kontinentalplatten.


Karte Nias

Ja‘ahowu wa‘atoharemi ba dane Niha!

Von den Niassern selbst wird die Insel auch Tanö Niha (Land der Menschen) genannt.

Etwa 5 km südlich von Gunung Sitoli liegen die Laraga Cottages. Hier in Miga werden wir in den kommenden 14 Tagen wohnen.

Laraga Cottages

Jackfrucht

Gleich am ersten Tag findet in Gunung Sitoli ein Wettstreit statt. 30 Gruppen aus je einem Dorf von Nias tanzen den traditionellen Hochzeitstanz mit Gesang und Begleitmusik. Wir fahren in die Stadt, um uns dies anzusehen. Als wir dort in der Menge auftauchen, werden wir bestaunt, da hier nur selten Europäer zu sehen sind.






Schon nach wenigen Minuten finden wir uns auf der Tribüne wieder und bekommen sofort
die einzigen Sessel zugewiesen. Uns ist es peinlich, da diese Plätze für uns frei gemacht  
werden. Herrn Eberlein haben wir verloren, er sucht uns einige Zeit, bis wir ihn entdecken und ihm von der Tribüne aus zuwinken.






Der "Inselchef“ von Nias veranlasste, dass wir diese Plätze erhalten und auch mit Essen und Getränken versorgt werden.


Wir genießen diesen Wettstreit direkt hinter der fünfköpfigen Jury.

Als 30. und letzte Gruppe tanzt eine „wilde“ Gruppe aus Südnias, Nachfahren der Kopfjäger. Sie tragen Lanzen, Schilde und auch den Halsschmuck ihrer Vorfahren, der früher bedeutete, dass bereits ein Kopf „erobert“ wurde.


Tanzgruppe aus Südnias


Ihr Tanz weicht von den übrigen Tänzen ab und erscheint uns besonders exotisch. Der Halsring, den dieser Tänzer trägt,ist ein Symbol für einen eroberten Kopf. 

Tänzer aus Südnias

Später versichern uns die Tänzer, dass sie diese Reifen, die von ihren Vorfahren stammen, nur noch als Schmuck zu ihrer Tracht tragen. Gefertigt wurden sie aus vielen schmalen Kokosnussreifen, die langsam breiter werden.

Bambus

In der Anlage sind viele verschiedene Bambusarten angepflanzt. Herr Eberlein erzählt uns, dass ein Riesenbambus im Wachstumsstadium bis zu 40 cm am Tag wachsen kann. Wir wollen das prüfen und kennzeichnen den Stamm. Innerhalb einer Woche wächst der Bambus zwar nicht 40 cm am Tag, aber doch immerhin mehr als 1 m. Allerdings hat er keine direkte Sonneneinstrahlung.


Orchideensamen

Millionen von gelben Zitrusfaltern fliegen von Blüte zu Blüte oder sitzen gemeinsam in der Sonne. Iman, der Fahrer, sagt uns, dass diese Falter Krankheiten wie Husten hervorrufen würden. Diese Aussage verwundert uns und wir gehen der Sache nach. 


Schmetterling


In einem Buch von Hr. Eberlein finden wir die Antwort: 
Da früher nach der Erntezeit im April nicht viel zu tun war, hatten die Kopfjäger Zeit für ihre Überfälle. Zur gleichen Zeit ziehen jedes Jahr die Scharen der Zitronenfalter (Löho-Löho) über die Insel. Diese Erscheinung brachten die Niasser mit den Kopfjagden in Zusammenhang. Nach altem Glauben sieht man in diesen Faltern auch die Geister der Verstorbenen oder die bösen Geister. Viele Leute schlagen noch heute diese Falter tot, sobald sie auftauchen. Es wird auch erzählt, dass zu dieser Zeit besonders viele Hautkrankheiten auftreten und Kinder verschwinden würden.


Zitronenfalter

Als wir einige Tage später ein Dorf besuchen, in dem Kautschuk gewonnen wird, behauptete ein Mann auch, es seien Kinder verschwunden und versuchte von uns Geld dafür zu erhalten, dass wir das Dorf besuchen dürfen.

Tumori


Tumori 

Am 2. Tag besuchen wir ein Traditionsdorf. Es heißt Tumori. Hier leben die Angehörigen des Clans „Zebua“. In den Traditionshäusern leben nur „Adlige“, deren Stand noch einmal in 12 Kasten geteilt ist. Traditionshäuser werden Adathaus genannt.


Peperoni werden getrocknet


Sobald in einem Dorf alle wichtigen Positionen besetzt waren, wurde wenige km weiter ein neues Dorf gegründet. Die adligen Gründer mussten dann nicht nur genügend Personen aufbringen, die mitgehen, sondern auch zunächst ein Traditionshaus erbauen und Megalithen aufstellen.

Gräber mit Megalithen

Beim Bau eines jeden Adathauses wurde als „Grundstein“ immer ein „erbeuteter“ Kopf in die Erde gelegt.

Die hohen Megalithen stellen die Männer dar und die flachen Megalithen die Frauen.
Vor vielen Häusern stehen die Gräber der Vorfahren, entweder im Garten oder sogar direkt vor dem Eingang. Hier erhält im Gegensatz zu den Gemeinschaftsgräbern der
Bataker jede Person ein eigenes Grab.




Tumori

Auf dem Bild kann 
man solche Gräber im Vordergrund erkennen.

Tumori

Blick auf einige Megalithen links vor dem Adathaus. Sie stehen auch wieder auf Gräbern. Das ist eine der Traditionen, die sie einfach mit dem Christentum verbunden haben. Für uns wäre es undenkbar, dass Oma und Opa vor dem Haus begraben wären.


blühender Strauch

Ein besonders schön und reichhaltig blühender kleiner Baum fällt uns in den Dörfern immer wieder auf. Seine Blüten fassen sich an wie Papier. 



links ein neu angebaute Haus neben traditionellen Adathäusern.

Eine Familie hat an ihrem Adathaus angebaut und darauf ein billiges Blechdach montiert. Bernd Eberlein erklärt dieser Familie, dass damit der schöne Anblick des alten Dorfes Tumori gestört wird und versucht, sie dazu zu überreden, das Dach doch noch nach traditioneller Art mit den umgeknickten Palmwedeln zu decken. Sie versprechen es, aber wir sind nicht davon überzeugt, dass sie es auch wirklich tun werden. 



Tumori

Das Verständnis für den Erhalt der alten Traditionen ist hier noch nicht sehr ausgeprägt. Das liegt auch daran, dass es in Nias keinen Tourismus gibt. In den vergangenen Jahrzehnten wurden sogar einige der alten Häuser abgerissen und durch kleine, einfache (und billige) Häuser ersetzt. Schade, aber leider verständlich angesichts der Armut der Menschen.


Orchideen

Um die noch heute vorhandenen abergläubischen Ängste etwas besser zu verstehen, möchte ich an dieser Stelle erklären, wie die Kopfjagd in früheren Zeiten ablief. Die begleitenden Fotos stammen von den Tanzgruppen, die uns später in den Laraga Cottages besuchen sowie aus einem Museum, das ein deutscher Pfarrer hier in Gunung Sitoli stiftete.



Südniasser vor einem Adathaus der Laraga Cottages

FONDRAKÖ 

Fondrakö wurde früher die Vorbereitung der Kopfjagd genannt.

Wenn die Haupternten beendet waren und die Leute Zeit hatten, etwas anderes zu tun, rief der Häuptling seine Leute zusammen und fragte sie: „Wann ziehen wir ins Feld?“. 
Es wurde festgelegt: am 11. Tag im zunehmenden Mond.



Südniasser vor einem Adathaus der Laraga Cottages

Zum Zeichen der Einmütigkeit schlachtete man ein Schwein. Danach suchte der Häuptling ca. 30 junge Männer aus, die besonders stark waren. Sie mussten ihre Kraft in besonders hohen Sprüngen beweisen:



Speere, Schilde und Brustschutz

Zunächst wurde bis in die Hüfthöhe gesprungen, anschließend bis zur Achselhöhle, danach bis zur Schulterhöhe. Die nächsten Sprünge erreichten den Kopf unter dem Schädel und zum Schluss mussten die Sprünge eine Höhe erreichen, die eine Speerspitze über dem Kopf hoch war.

Südniasser vor einem Adathaus der Laraga Cottages


Wenn dies erreicht war, schlachtete der Häuptling wieder ein großes Schwein und zerhackte es in kleine Stücke, die er mit Erde vermischte und den 30 jungen Leuten in den Mund steckte. Sie mussten es essen und anschließend selbst den Rest des mit Erde vermischten Schweines aufessen.

Jedem der Kopfjäger winkte ein Batu Gold (etwa 10 Gramm) als Belohnung, außerdem erhielt er Kleidung, Schild, Speer und Messer vom Häuptling.


Münzen und Gold inklusive Goldwaage 

In der Zeit vom 1. bis 7. Tag des zunehmenden Mondes begann das Härten der Messer. Sobald die Klinge glühend rot war, wurde sie eine vorgeschriebene Zeit lang ins Wasser getaucht. War sie aus Eisen, musste nun die Klinge weiß wie ein Porzellanteller werden, war sie jedoch aus Stahl, musste die Farbe der Nibung Palme erreicht werden. Nur dann waren die Messer für die Kopfjagd geeignet. Im anderen Fall wurde das Härten wiederholt oder ein anderes Messer gehärtet.

Kurz vor der Kopfjagd wurde wiederum ein Schwein geschlachtet.
Allerdings dürfen die Krieger nicht davon essen, sie erhalten lediglich eine Daumenbreite hoch ungekochten Reis und ungekochten Mais als Henkersmahlzeit.





Das Schwein wird von allen anderen Bewohnern gegessen, um die Götter milde zu stimmen, quasi als Lösegeld für die Seele der Männer, die voraussichtlich im Feld getötet werden würden.


Südniasser vor einem Adathaus der Laraga Cottages

Neben dem Kriegszug kannten die Niasser weitere Formen der Kopfjagd:

- den heimtückischen Überfall, z.B. bei der Feldarbeit des Opfers
- den Überfall eines Hauses in der Nacht, wobei  die Gabel eines Hirschgeweihes zum Einreißen
  des Hauses benutzt wurde
- die ebenso heimtückische Menschenquetsche

Man kann verstehen, dass die in Jahrhunderten entstandene panische Angst vor Kopfjägern die Menschen auf NIAS in abgelegenen Gebieten auch heute noch nicht ganz verlassen hat.

Quelle für Fondrakö-Erklärung: „Die Indonesienexpedition 1887“ von Joachim Freiherr von Brenner-Felsach, Herausgeber Reinhold Mittersakschmöller - Böhlau Verlag Wien-Köln-Weimar 1998


Jedes Jahr im April, wenn die Erntezeit vorüber ist, kommt die Angst zurück. 

Ein Beispiel dafür ist die Geschichte mit den gelben Zitronenfaltern.




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